Eine Zeit im Ausland zu verbringen, ist eine „Schule für’s Leben“. Darin sind sich wohl alle einig, die selbst schon eine Auslandszeit hinter sich haben. Der Stundenplan, der dir die Kniffe fürs Leben vermittelt, sieht dabei jedoch ganz anders aus, als du vielleicht erwarten würdest. Auch die Unterrichtsfächer mögen dich überraschen: An die Stelle von Interpretationen von Gedichten aus unterschiedlichen literarischen Epochen in drei verschiedenen Sprachen und mathematischen Formeln, die im wahren Leben niemand braucht, treten praxistaugliche Fächer wie „Sprachen“, „Kultur“, „Toleranz“, „Selbständigkeit“, „Flexibilität“und „Kontakte“.All diese Kurse belegst du völlig automatisch. Je nach Reisezweck und Reiseziel kannst du jedoch deine ganz persönlichen Schwerpunkte setzen, indem du bestimmte Crash- und Leistungskurse nach eigenem Gusto belegst.
Das Schöne: Du hast die Möglichkeit, dir selbst aussuchen, in welcher „Klasse“ du einsteigst. Lieber Klasse 1 – das „Rund-um-Sorglos-Paket“, zum Beispiel eine Sprachreise in Europa von einem Veranstalter – oder vielleicht überspringst du als „Auslandszeit-Überflieger“ gleich mal ein paar Schuljahre und steigst direkt in Klasse 4 ein, indem du dir beispielsweise ein Auslandspraktikum in Asien oder Afrika selbst organisierst.
Noch ein entscheidender Unterschied: als Lehrer erwarten dich weder desillusionierte Idealisten noch verstaubte Theoretiker, die von der Praxis keine Ahnung haben. Stattdessen führt dich deine neue Schule über den Sprung ins kalte Wasser, durch den du tief in eine neue Kultur eintauchst, auf eine ganz andere Art und Weise zu neuem Wissen und einer ordentlichen Portion Praxis. Ganz nach dem Motto: „no risk, no fun“. Denn deine neuen Lehrer sind: das Land, die Menschen sowie die neuen Umstände. Und nicht zu vergessen: du selbst! Klingt nach einer Schule wie im Traum, nicht wahr? Ist es auch! Zumindest meistens.
Die Fächer: Schlüsselkompetenzen für’s Leben
Sprachen
Bei einem Auslandsaufenthalt verbesserst du in der Regel unweigerlich deine Sprachkompetenzen. Statt Shakespeare, Sartre und Caesar rauf und runter zu analysieren, lernst du jedoch alltagstaugliches Vokabular kennen: Je nach Auslandszeit kann das die Umgangssprache der Jugendlichen des Ziellandes sein oder auch Fachsprache im geschäftlichen Kontext. Im Ausland hast du die Möglichkeit, die Sprache direkt vor Ort zu lernen, ohne dabei Vokabellisten und komplizierte grammatikalische Regeln auswendig lernen zu müssen. Ob du dich beim Work & Travel mit Gleichgesinnten unterhältst, auf einer Reise nach dem Weg fragst oder im Praktikum interessante Diskussionen führst – die Sprachkompetenz kommt in solchen Alltagssituationen fast von ganz alleine. Übrigens: Die Königsklasse zum Thema „Sprache“ belegst du, wenn du in ein Land gehst, ohne die Sprache vorher in der Schule gelernt zu haben. Das erfordert sehr viel Mut und Improvisation. Nachdem du dich eine Weile lang mit Händen und Füßen verständigt hast, wirst du dich aber wundern, wie schnell du Erfolge erzielst.
Kultur
In Japan verkleiden sich alle als Manga-Figuren, in Südamerika wird nur gefeiert und in Afrika ticken die Uhren langsamer. Schluss mit den Vorurteilen! Im Ausland hast du die Chance, dir dein eigenes Urteil zu bilden, indem du tief in eine fremde Kultur eintauchst. Dabei lernst du nicht nur die kulturellen Eigenheiten kennen, sondern hast auch die Möglichkeit deren Hintergründe zu verstehen. Je fremder die Kultur, desto mehr kannst du aus deinem Auslandsaufenthalt mitnehmen. Denn in eine unbekannte Kultur einzutauchen, heißt immer auch: die eigenen Gewohnheiten zu hinterfragen, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen und mit schwierigen Situationen umzugehen. Während du in unseren Nachbarländern mehr oder weniger sanft mit kulturellen Unterschieden konfrontiert wirst, kann eine Auslandszeit auf einem anderen Kontinent mit etwas unsanfteren Erfahrungen verbunden sein. Die Schlüsselfähigkeit, die du in diesem Fach erlernst, nennt sich „interkulturelle Kompetenz“. Oft ist dieses Fach gekoppelt mit einem Crashkurs in „Toleranz“.
Toleranz
Wer eine Zeit im Ausland verbringt, entwickelt Toleranz. Das bedeutet: Nicht immer die eigene Kultur zum Maßstab zu machen, sondern andere Kulturen zu respektieren, zu akzeptieren und zu verstehen. Indem du über deinen eigenen Tellerrand hinaus blickst, lernst du neue Ansichten, Lebensweisen und Religionen kennen. Der „Aha-Effekt“: Vielleicht ist „meine“ Kultur gar nicht die einzig wahre; vielleicht können wir Deutschen uns einige Dinge von anderen Völkern abgucken. Oder zumindest: Da ich die geschichtlichen und kulturellen Hintergründe kenne, weiß ich aktuelle Unterschiede und Konflikte besser einzuschätzen und kann somit zu deren Lösung beitragen. Genau wie im Fach Kultur gilt auch hier: je mehr kulturelle Unterschiede, desto größer der Lerneffekt. Während ein Sprachkurs in Frankreich zum Beispiel einem Grundkurs in Klasse 1 entspricht, steigst du mit einem Freiwilligenprojekt in Indien direkt im Leistungskurs in Klasse 4 ein.
Selbstständigkeit
Jede Auslandszeit fordert und fördert Selbstständigkeit. Wer nur zu Hause im eigenen Nest bleibt – sich im „Hotel Mama“ rundum versorgen lässt – hat es später im Leben schwer. Fliegst du jedoch aus – und dafür ist es nie zu spät – lernst du, auf eigenen Beinen zu stehen, dich selbst zu organisieren und eigenständig zu handeln. Das sind Kompetenzen, die im Leben unverzichtbar sind. Je nach Vorkenntnissen kannst du auch hier wählen: Wenn du dir die ersten Schritte erleichtern möchtest und dir am Anfang noch etwas Unterstützung wünschst, dann ist eine organisierte Auslandszeit die richtige Wahl. Ein Sprachkurs über einen Veranstalter könnte in diese Kategorie fallen.
Einen Crashkurs in Selbstständigkeit bietet dir zum Beispiel eine Work-and-Travel-Reise, die du dir völlig selbst organisierst: Vom Visumsantrag über Vorbereitung und Flug bis hin zu der Suche nach Jobs und Unterkünften vor Ort.
Flexibilität
Frei nach dem Motto „life is what happens while you’re busy making other plans“ (John Lennon) übst du dich während deiner Auslandszeit in Flexibilität. Ob du willst oder nicht. Denn auch wenn alles noch so gut geplant ist, wirst du mit Sicherheit auf den einen oder anderen Stolperstein stoßen: Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn an deinem ersten Tag im Auslandspraktikum der Bus zu spät kommt oder mal wieder der Strom ausfällt, wenn du in einem Freiwilligenprojekt als Englisch-Lehrer/in eine Powerpoint-Präsentation vorführen möchtest. Spontan auf solche Gegebenheiten zu reagieren, ist eine Fähigkeit, die du im Ausland ohne Zweifel lernst. Während du dich im Grundkurs „Au-Pair in Europa“ Schritt für Schritt an das Thema Flexibilität herantastest, wirst du in einem Freiwilligenprojekt auf einem anderen Kontinent oder beim „Work & Travel“ zu einem Flexibilitäts-Überflieger.
Kontakte
Eine ordentliche Portion Vitamin B hat noch niemandem geschadet. Vor allem nicht, wenn die neuen Kontakte auf der ganzen Welt verteilt sind. Ganz unabhängig von deinem Zielland und deiner Tätigkeit vor Ort wird das Fach „Kontakte“ auf deinem Stundenplan unweigerlich eine wichtige Rolle spielen. Dank sozialer Netzwerke kannst du diese Bekanntschaften sehr gut aufrecht erhalten und möglicherweise auch zukünftig davon profitieren. Zum Beispiel, indem du deine neuen Freunde statt eines Pauschal-Urlaubs auf eigene Faust besuchst oder sogar Kontakte für deine künftige berufliche Zukunft knüpfst.
Die Schulklassen: Auslandszeiten von Klasse 1 bis 4
Klasse 1 | Beispiel: Sprachreise
Eine organisierte Sprachreise bietet die vor allem einen Vorteil: Du lernst die Sprache dort, wo sie gesprochen wird. Dabei kannst du dich voll und ganz auf das Fach „Sprachen“ konzentrieren. Die anderen Fächer – wie Kultur, Selbstständigkeit und Flexibilität – werden hier nur angerissen. Eine Sprachreise ist jedoch ein wunderbarer Einstieg für all diejenigen, die lieber auf „Nummer sicher“ gehen.
Klasse 2 | Beispiele: Highschool Year oder Au-Pair
Im Highschool Year oder als Au-Pair bewegst du dich bereits in Klasse 2. Hier verbringst du meist eine etwas längere Zeit im Ausland, wodurch du intensiver mit der Kultur in Verbindung kommst. Das Leben in einer Gastfamilie und ein fester Tagesablauf – Schule oder Kinderbetreuung – bieten dir Sicherheit und eine gewisse Struktur. Neben dem Fach „Sprache“ legst du deinen Schwerpunkt hier auch auf die Fächer „Kultur“ und „Kontakte“.
Klasse 3 | Beispiele: Freiwilligenarbeit, Work & Travel oder Praktikum
Wer gleich mit Freiwilligenarbeit, einer Work & Travel Reise oder einem Praktikum im Ausland beginnt, überspringt Klasse 1 und 2 – und steigt direkt in Klasse 3 ein. Aufenthalte dieser Art sind oft mit einem größeren Planungsaufwand verbunden und erfordern ein hohes Maß an Eigenständigkeit. Zusätzlich zu „Sprache“, „Kultur“ und „Kontakte“ stehen hier deine Kompetenzen in den Bereichen „Flexibilität“, „Selbstständigkeit“ und „Toleranz“ im Mittelpunkt.
Klasse 4 | Klasse 3, vollkommen selbst organisiert und auf einem anderen Kontinent
Du liebst das Risiko? Klasse 4 begrüßt dich mit Crashkursen in allen Fächern. Ein vollkommen selbst organisierter Aufenthalt – sei es ein Praktikum, Work & Travel oder die Reise in ein fernes Land – ist für Reiseüberflieger die perfekte Wahl. Starte gleich in Klasse 4, beispielsweise indem du in einem Entwicklungsland, dessen Sprache du nicht beherrschst und dessen Kultur dir völlig fremd ist, ein eigens organisiertes Praktikum absolvierst oder ohne feste Route als Backpacker/in durchstartest. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!